Ausgerechnet eine Polizei-Razzia bahnt den Weg zur Legalisierung von Mariuhana in der US-Hauptstadt. Aber das hat damals natürlich keiner vorhersehen können in Washington, DC, dem District of Columbia.
Damals, das ist im Oktober 2011. Ein paar Jahre zuvor ist Alan Amsterdam - der Name ist echt - aus den Niederlanden zurückgekehrt. Amsterdam hatte in Amsterdam einen Coffeeshop betrieben, und etwas ähnliches wollte er auch in seiner Heimatstadt Washington aufziehen. Er gründete einen Laden für Kifferzubehör - mehr ging nicht, weil Cannabis zu diesem Zeitpunkt illegal war. Doch selbst die Sache mit dem Zubehör geht den Behörden im Oktober 2011 zu weit. DC ist kein Staat, sondern ein Gebiet unter Bundesaufsicht, auf Kiffen steht damals Gefängnis.
Es folgt: die Razzia. Amsterdam muss seinen Laden dichtmachen, wechselt ins benachbarte Maryland, wo er fortan "Tabak"-Zubehör verkauft.
Die Geschichte könnte an diesem Punkt enden, wenn nicht Amsterdam schon am Tag nach der Razzia einen Bürgerentscheid zur Legalisierung von Mariuhana auf den Weg gebracht hätte: die Iniative 71. Im vergangenen November, drei Jahre später, stimmen 70 Prozent der Bürger des Distrikts dafür. Seit wenigen Wochen ist Besitz und Konsum von Cannabis in der Hauptstadt erlaubt, nicht aber der Kauf oder Verkauf.
Amsterdam empfindet das als Revolution: "Wir haben uns dem Bund widersetzt." Im Sommer will er einen neuen Laden in Washington aufmachen.
Übertroffen nur von Sambia und Island
Tatsächlich verschiebt sich in den USA gerade Grundsätzliches: Mariuhana wird zur Volksdroge. Einer Pew-Umfrage zufolge glauben zwei Drittel der Amerikaner, dass Alkohol gefährlicher ist, 52 Prozent sind für die Legalisierung. In den vergangenen Jahren haben Colorado, Washington, Alaska und nun auch Oregon sowohl den Besitz als auch den Kauf und Verkauf von Cannabis freigegeben. In Dutzenden Staaten ist Marihuana zudem wenigstens als Medikament erlaubt oder wird das Kiffen nur noch wie eine Verkehrswidrigkeit geahndet. Der Trend greift von der Westküste auf die Ostküste über. Besorgt gab jüngstBarack Obama jungen Leuten den Rat, sich doch lieber gegen den Klimawandel zu engagieren als für die Cannabis-Legalisierung.
Die Vereinigten Staaten haben sich längst zur Kiffer-Nation entwickelt. Jeder siebte Amerikaner nutzt Cannabis, laut Uno-Weltdrogenbericht liegen die USA auf dem dritten Platz weltweit, übertroffen nur von Sambia und Island. Es herrscht Goldgräberstimmung. "Das ist der gegenwärtig am stärksten wachsende Wirtschaftszweig", sagt Amsterdam. Der Schwarzmarkt transformiere sich zum Normalmarkt. Schon investiert die Wall Street, Studien prognostizieren ein Milliarden-Dollar-Geschäft, der Staat profitiert massiv über Steuereinnahmen.
In DC allerdings ist alles ein bisschen anders, ein bisschen komplizierter und in seiner ganzen bürokratischen Merkwürdigkeit auch ein bisschen amüsanter. Weil das so ist, verfolgt Amerikas Cannabis-Bewegung sehr genau, wie sich die Lage in der Hauptstadt entwickelt. "Viele sagen: Wenn die es in DC schaffen, dann können wir das auch", meint Amsterdam. Hintergrund: Wenn US-Regierung und Parlament wollen, dann könnten sie dem hauptstädtischen Rauschgefühl ganz schnell ein Ende bereiten - egal was 70 Prozent der Bevölkerung sagen.
Weil der Distrikt kein Staat ist, haben seine Bewohner nur eingeschränkte Rechte. Senatoren? Entsenden sie nicht. Abgeordnete? Haben sie eine, aber ohne Stimmrecht. Und den Präsidenten? Dürfen sie erst seit den Sechzigerjahren mitwählen. Steuereinnahmen? Gehen zuerst an den Bund. Alles, was das Distriktparlament (Council) und die Bürgermeisterin beschließen, steht unter Vorbehalt. Die Oberhoheit hat der US-Kongress.
Genau da liegt das Cannabis-Problem: Das US-Parlament ist von den Republikanern beherrscht, viele Abgeordnete aus konservativeren Landstrichen finden das bunte THC-Treiben in der Hauptstadt gar nicht lustig. Ende vergangenen Jahres, kurz nach dem Marihuana-Referendum, schreiben sie einen Zusatzabsatz in den auch für DC geltenden Bundeshaushalt, dass keine Finanzmittel zur Legalisierung von Cannabis aufgewendet werden dürfen. Damit, so der Gedanke, wäre das Referendum ungültig.
Es ist ein Trick, um die Stadt zu stoppen, ohne ihren Bürgern auf offener Bühne demokratische Rechte streitig zu machen. Denn das könnte der Kongress: Die Parlamentarier haben bei jedem DC-Gesetz eine Einspruchsfrist von 30 Tagen. Warum aber nutzen sie die in diesem Fall nicht? Es ist die Angst, libertäre Anhänger in den eigenen Reihen und jüngere Wähler zu verschrecken.
Die Stadtoberen halten dagegen, argumentieren: Das Referendum habe vor Inkrafttreten des Budgetzusatzes stattgefunden und sei deshalb nicht betroffen. Führende Republikaner drohen Washingtons Bürgermeisterin Muriel Bowser mit Gefängnis, da sie Bundesgesetze missachte.
Bowser lässt sich nicht stoppen, bisher. Der Kampf ums Kiffen hat sich damit zu einem grundsätzlichen Konflikt um die Rechte der Distriktbürger gewandelt. Die Hanfpflanze ist zum neuen Symbol eines alten uramerikanischen Kampfes geworden: "Es geht ja nicht nur um Cannabis", sagt Alan Amsterdam, "es geht um Freiheit".
Zum Autor
Sebastian Fischer ist seit August 2011 USA-Korrespondent von SPIEGEL ONLINE in Washington.
E-Mail: Sebastian_Fischer@spiegel.de
Mehr Artikel von Sebastian Fischer
0 commentaires:
Enregistrer un commentaire
Click to see the code!
To insert emoticon you must added at least one space before the code.