mardi 31 mars 2015

Gedenken an Germanwings-Opfer: Der falsche Staatsakt


Der Staatsakt ist bei einer Beerdigung die höchste politische Würdigung. Mit einem Staatsakt wird Menschen gedacht, die sich um das deutsche Volk besonders verdient gemacht haben. Hochrangige Vertreter des Staates sind zugegen, wenn der Tote zur letzten Ruhe gebettet wird, am Sarg des Verstorbenen steht eine Ehrenwache. So ist es in den Protokollrichtlinien der Bundesregierung festgehalten. Der Letzte, der auf diese Weise geehrt wurde, war Richard von Weizsäcker.


Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat für die Fluggäste, die auf dem Germanwings-Flug 4U9525 ihr Leben ließen, am 17. April einen Staatsakt anberaumt. Keines der Opfer hat sein Leben für die Bundesrepublik gelassen. Sie sind nicht in Ausübung ihres Dienstes oder bei der Verteidigung des Vaterlandes gestorben; sie haben sich, soweit man weiß, in der Politik auch keine außergewöhnlichen Verdienste erworben. Es waren 149 ganz normale Menschen, die das Pech hatten, an Bord zu sein, als der Co-Pilot, nach bisherigen Erkenntnissen, beschloss, seinem Leben ein Ende zu setzen und dabei auch ihres auslöschte.

Ist man herzlos, wenn man bei dem öffentlichen Gedenken Zweifel hat, ob es dem Ereignis angemessen ist? Der Schmerz der Angehörigen kennt keine Grenzen. Ein Wort der Anteilnahme von führender Stelle ist bei einer solchen Katastrophe geboten, aber dabei hat es die Regierung nicht belassen. Die Bundeskanzlerin sagte am Tag des Unglücks alle Termine ab, der Bundespräsident beendete einen Staatsbesuch in Südamerika, mehrere Minister machten sich zusammen mit der Kanzlerin auf den Weg, um sich vor Ort "ein Bild zu verschaffen", wie es hieß. Wenn die Bundeskanzlerin alles stehen und liegen lässt, um ein Unglück zu würdigen, führt am "Brennpunkt" kein Weg vorbei - egal, ob es etwas zu senden gibt oder nicht.


Ausdruck der Verlegenheit


Das öffentliche Gedenken folgt Regeln. Ein Regierungschef kann nicht jeden Toten betrauern, er spricht ja nicht als Privatperson, sondern als Repräsentant eines Gemeinwesens. Also muss er auswählen, wo er Mitgefühl zeigt. Die Zahl der Opfer spielt dabei eine Rolle: Wenn es sehr viele auf einmal sind, ist eine Stellungnahme angezeigt. Noch bedeutsamer ist die Todesart. Private Tragödien gehen die Regierung nichts an, es sei denn es gibt einen gesellschaftlich bedeutsamen Hintergrund.


Ein Anschlag wie in Paris hingegen macht einen Akt der öffentlichen Anteilnahme unausweichlich. Jedes Opfer steht bei einem Terrorakt für die freie Gesellschaft, die es zu verteidigen gilt. Die Toten werden zu Helden erklärt, um die Tat semantisch einzuordnen und damit zu bewältigen.


Aber wofür stehen die 150 Toten von Flug 4U9525? Für unser Recht, unversehrt von A nach B zu gelangen? Tatsächlich ist der Staatsakt, wie er für den 17. April geplant ist, ein Ausdruck der Verlegenheit angesichts eines Todes, der im Zuge des Zivilisationsprozesses überwunden zu sein schien. So wird ihm ein Sinn unterlegt, den er nicht hat.


"Verdrängen, verleugnen, verschweigen" lautete am Wochenende eine Überschrift. Gemeint war der Umgang der Fluggesellschaften mit den psychischen Problemen ihrer Angestellten, aber sie trifft auch auf unseren Umgang mit dem Tod zu. Jetzt wendet sich die Diskussion der Frage zu, ob auf den Piloten nicht ein zu großer Druck laste. Offenbar ist uns die Vorstellung unerträglich, dass Menschen einfach durchdrehen. Weil die Erklärung nicht akzeptabel erscheint, dass sich psychische Probleme zu einem Moment des Wahnsinns verdichten, suchen wir nach einem therapeutischen Ausweg. Wenn ein Gefühl der Überlastung schuld ist, dass Leute in die Depression abgleiten, dann berechtigt die rechtzeitige Intervention zur Hoffnung, dass man ähnliche Handlungen künftig ausschließen kann.

In der "Emma" hat eine Autorin angeregt, die Frauenquote unter Piloten zu erhöhen, weil Frauen weniger zu Gewalttaten neigen würden. Sie musste sich vorhalten lassen, das Andenken an die Toten zu missbrauchen. Aber ihr Vorschlag ist nicht schlechter als der, einen Flugbegleiter zu zwingen, den Piloten im Auge zu behalten, wenn sein Kollege auf die Toilette muss. 33 Millionen Flüge gab es im vergangenen Jahr weltweit, 3,3 Milliarden Menschen wurden dabei befördert. Will man wirklich jeden Piloten wie einen potenziellen Selbstmörder behandeln, um das Risiko auszuschalten, es könnte sich wieder einmal einer im Cockpit das Leben nehmen?


Das Unglück rühre an das Selbstverständnis der Nation, hat die "Zeit" nach dem Absturz in den Alpen geschrieben. Vielen Lesern erschien das übertrieben, aber möglicherweise liegen die Redakteure näher an der Wahrheit, als sie ahnten. Man mag sich nicht vorstellen, was passiert, wenn es zu einer Katastrophe kommt, die diesen Staat wirklich herausfordert. Wie will die Regierung dann reagieren? Wird sie für eine Woche die Arbeit einstellen, um ihre Verbundenheit mit den Opfern zum Ausdruck zu bringen? Wer die Rituale der öffentlichen Trauer entwertet, hat nicht mehr viel zur Hand, um einem Land Trost zu geben, wenn es wirklich darauf ankommt.







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