samedi 14 mars 2015

Syrischer Oppositionschef Khoja: "Assads Ende muss das Ziel sein"


Wenig Zeit? Am Textende gibt's eine Zusammenfassung.




Khaled Khoja kommt mit einer halben Stunde Verspätung in sein Istanbuler Büro, dem Sitz der syrischen Exilregierung. Er war in Frankreich, bei Staatspräsident Francois Hollande. Kommende Woche wird er nach Berlin reisen, zu Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Er hat viel zu tun in diesen Tagen, denn die Gewalt in Syrien dauert seit vier Jahren an, schätzungsweise mehr als 200.000 Menschen sind gestorben, mehr als elf Millionen auf der Flucht, aber die Bereitschaft des Westens zu helfen, sinkt. Khoja findet, dass der Konflikt falsch beurteilt wird. "Was der 'Islamische Staat' macht, ist furchtbar. Aber der Terror, der vom Regime von Baschar al-Assad ausgeht, ist um ein Vielfaches schlimmer", sagt er. Der Westen trage eine Mitverantwortung an der Lage in Syrien - weil er, anders als zum Beispiel in Libyen und Ägypten, aus politischen Gründen den Demonstranten nicht geholfen habe. Es gehe nicht um Frieden und Menschenrechte, sondern um Machtpolitik.

Khoja wurde im Januar zum Präsidenten der "Nationalen Syrischen Koalition" gewählt. Sie ist der wichtigste Zusammenschluss der syrischen Opposition, hat ihren Sitz in Istanbul und bestimmt eine Regierung, die die Gebiete in Syrien unter Kontrolle der Rebellen verwaltet sowie über die Freie Syrische Armee (FSA) verfügt. Im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE beschreibt er, was seiner Meinung nach getan werden müsste, um den Krieg zu beenden.



Zur Person





  • DPA



    Khaled Khoja wurde 1965 in Damaskus geboren. Zweimal landete er im Gefängnis - das erste Mal im Alter von 15 Jahren -, weil sein Vater ein Oppositioneller war. Aus Furcht um sein Leben zog er in die Türkei, wo er 29 Jahre im Exil lebte und 1994 in Izmir einen Abschluss in Medizin machte. Seit Ausbruch der Gewalt in Syrien im Frühjahr 2011 setzt er sich für die Opposition ein. Im Januar 2014 wurde er zum Präsidenten des vom Westen unterstützten syrischen Oppositionsbündnisses Nationale Syrische Koalition gewählt. Er ist verheiratet und hat vier Kinder.



SPIEGEL ONLINE: Herr Khoja, welche Rolle werden Präsident Assad und die jetzige Regierung in Zukunft in Syrien spielen?

Khoja: Keine. Das Ziel aller Verhandlungen muss ein radikaler Wechsel der Machtverhältnisse sein, also ein Ende von Assad. Die Uno-Konferenz zu Syrien vor einem Jahr hat beschlossen, dass dazu zunächst eine Übergangsregierung gebildet werden soll. Am Ende des Prozesses darf Assad keine Macht mehr haben.


SPIEGEL ONLINE: Zu Beginn der Aufstände 2011 sagten Sie, Sie gäben Assad maximal ein Jahr, dann wäre er nicht mehr im Amt. Tatsächlich sitzt er noch immer fest im Sattel.


Khoja: Wir hatten erwartet, dass die mit uns befreundeten Länder sich so verhalten würden wie in Libyen beim Sturz von Gaddafi oder in Ägypten beim Sturz von Mubarak, dass sie also das Aufbegehren des syrischen Volkes, das Verlangen nach Freiheit und Würde unterstützen würden. Aber leider war das nicht der Fall. Ihnen geht es in Syrien offensichtlich nicht um Selbstbestimmung und Menschenrechte, sondern um geostrategische Interessen. Das haben wir zu Beginn des Aufstands unterschätzt.


SPIEGEL ONLINE: Können Sie das konkreter ausführen?


Khoja: Nehmen Sie die Atomverhandlungen mit Iran. Wir sehen ganz deutlich, dass Teheran diese Gespräche ausnutzt, um seine Macht in der Region auszuweiten. Man träumt von der Wiederauferstehung des persischen Reichs. Offensichtlich verknüpft Iran Zugeständnisse mit der Forderung, dass die USA nichts in Syrien unternehmen, was iranischen Interessen widerspricht.


"Wir kämpfen auch gegen Iran"


SPIEGEL ONLINE: Haben Sie dafür Beweise?


Khoja: Die FSA hat auf syrischem Boden iranische Kämpfer festgenommen. Diese schiitischen Milizen sind keine syrischen Staatsbürger, sie sprechen kein Arabisch, sondern Farsi. In ihren Reihen befinden sich auch Afghanen, Pakistaner und Inder. Schauen Sie doch mal, wie der iranische Einfluss in der Region steigt, im Jemen, im Irak, im Libanon, in Bahrain, in Kuwait, selbst in Emiraten. Wir kämpfen in Wahrheit also auch gegen Iran. Das ist ein wesentlicher Grund dafür, weshalb dieser Krieg so lange andauert.


SPIEGEL ONLINE: Die oppositionellen Kräfte in Syrien sind zerstritten und kämpfen oft gegeneinander. Was haben Sie diesen Interessen mächtiger Staaten entgegenzusetzen?


Khoja: So zerstritten ist die Opposition nicht. Man darf aber nicht vergessen, dass wir aus sehr unterschiedlichen Gruppen bestehen. Wir sind ein Bündnis aus Leuten der Muslimbrüderschaft, Liberalen, Kommunisten, Kurden, arabischen Stämmen, Assyrern. Das macht einen demokratischen Zusammenschluss aus. Gleichwohl sind wir uns einig über unser Ziel, nämlich die Diktatur zu beenden. Richtig ist, dass es die Nusra-Front gibt, einen Ableger von al-Qaida. Diese Gruppe sehen wir nicht als Teil der Opposition, auch wenn sie wie wir gegen IS oder gegen das Regime kämpfen. Manchmal verhält die Nusra-Front sich aber auch wie der IS und greift uns an.


SPIEGEL ONLINE: Die Opposition spielt in Syrien aber keine große Rolle. Was also können Sie beitragen, dass der Konflikt beigelegt wird?


"Wir brauchen die Hilfe des Westens"


Khoja: Wir müssen versuchen, staatliche Strukturen aufzubauen und den Menschen ein möglichst normales Leben zu ermöglichen. Wir unterhalten zehn Ministerien in den von uns kontrollierten Gebieten. Fünf davon arbeiten bereits und leisten wichtige Arbeit für die Bevölkerung, darunter die Ministerien für Erziehung, Gesundheit und Verteidigung. Wir benötigen dafür aber die Hilfe der westlichen Staaten.


SPIEGEL ONLINE: Die scheinen in erster Linie paralysiert vom Aufstieg des IS. Inwiefern bereitet Ihnen das Probleme?


Khoja: Der Westen ist besorgt wegen des Terrors durch den IS. Wir kämpfen seit Entstehen des IS gegen die Extremisten. Aber der größte Terror kommt vom Regime. Der IS ist für nicht mehr als 5000 Tote in Syrien verantwortlich, das Regime hat mehr als 220.000 Menschen auf dem Gewissen. Die Wurzeln des Terrors liegen im Regime. Wenn der IS besiegt ist, wird das Regime für eine neue Terrororganisation sorgen. Die einzige Möglichkeit, diesen Kreislauf in Syrien zu durchbrechen, ist, das Regime zu stürzen. Warum redet niemand mehr über die Fassbomben, die das Regime täglich über seine eigene Bevölkerung abwirft? Warum ist der Chemiewaffeneinsatz vergessen?

SPIEGEL ONLINE: Glauben Sie, der Krieg ließe sich durch eine westliche Militärintervention beenden?


Khoja: Nein, ein US-Einmarsch würde sogar noch mehr Schaden anrichten, weil man sie als Eindringlinge wahrnehmen würde. Aber die FSA hat erfahrene Offiziere und kampferprobte Soldaten in ihren Reihen. Insgesamt verfügt sie über 70.000 Mann, etwa so viele wie die Regimetruppen. Man müsste sie nur entsprechend bewaffnen, sonst verschwindet der letzte Rest von dem, was von Syrien noch existiert. Bislang ist diese Unterstützung ausgeblieben.




Zusammengefasst: Syriens Oppositionspolitiker Khaled Koja wirft dem Westen vor, nicht genug für den Sturz Assads zu tun. Die USA täten mit Rücksicht auf die Atom-Verhandlungen mit Iran nichts, was iranischen Interesse abträglich sei. Der Westen müsse nicht in Syrien einmarschieren, aber die Rebellen mit Waffen versorgen.

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