vendredi 27 février 2015

Olympia-Debatte: Warum Berlin auf die Spiele verzichten sollte


Etwas missmutig besteigt der Journalist Charles Maurras vor 119 Jahren das Schiff, das ihn zu den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit nach Griechenland bringen soll. Er erwartet, in dem Panathenäischen Stadion ein Fest des Kosmopolitismus und der Völkerfreundschaft zu sehen - was den überzeugten Nationalisten nicht sonderlich erheitert. Doch das Gegenteil ist der Fall: "Weit davon entfernt, die nationalen Leidenschaften zu ersticken, brachte der falsche Kosmopolitismus des Stadions sie nur zur Raserei", schildert Maurras die Reaktionen der Zuschauer. Der Olympismus erscheint in seinen Augen als trojanisches Pferd. Nach außen werde Frieden, Demokratie und Völkerverständigung verheißen, während innen schon das "Schlachtfeld der Nationalitäten, Rassen und Sprachen" vorbereitet werde.


Das Stadion als Schlachtfeld der Nationen


Ähnliche Beobachtungen sind für die deutschen Olympisten ausschlaggebend, als sie sich 1906 zur ersten Bewerbung um Olympische Spiele entschließen. Sport und Nationalismus sind für die kaiserlichen Funktionäre ein Mittel, die sozialen Unterschiede im Inland zu überspielen und nebenbei eine kriegstüchtige Bevölkerung heranzuzüchten. Die nationalistische Feier der Olympischen Spiele in Hitlers Berlin von 1936 ist insofern kein Betriebsunfall in der Geschichte des Olympismus, auch wenn der Berliner Senator Heilmann und Staatssekretär Tim Renner bei SPIEGEL ONLINE behaupten, dass der "eigentliche Kern der Olympischen Idee" dort seine "Unschuld" verloren habe.

Der Begründer der neuzeitlichen Olympischen Spiele, Baron Pierre de Coubertin, lässt im Gegenteil in seiner Schlussansprache der Veranstaltung verlauten, dass die Idee des Olympismus erst in Berlin ihre "Weihe" erhalten habe. Auch in der Zeit des Kalten Krieges behalten die Spiele ihre trojanische Propagandafassade. Trotz aller olympischen Verheißungen ist die Olympische Kampfbahn lediglich ein Nebenkriegsschauplatz mit hohem Symbolwert.


In den letzten Jahrzehnten hat zudem eine beispiellose Kommerzialisierung des Olympismus stattgefunden. Verbunden damit ist ein hohes Maß an Korruption. Dies gilt nicht nur für das weit entfernte IOC, die korruptiven Verflechtungen der gescheiterten Olympia-Bewerbung Berlins für 2000 konnten lediglich deswegen nicht aufgearbeitet werden, weil die Akten geschreddert wurden, wie der Bund der Steuerzahler Berlin kritisiert.


Scheinheilige Simulation von Demokratie


Auch auf das demokratische Klima der Stadt wirft der Olympische Geist bereits seinen Schatten. Legendär ist eine Online-Befragung des Senats, bei der die Möglichkeit fehlte, die Spiele insgesamt abzulehnen. Gegen die nationalismuskritische Olympia-Satire eines Internet-Blogs ging er mit Abmahnungen vor. Entgegen aller Erfahrung suggeriert der Senat, dass Berlin nachhaltige und bescheidene Spiele veranstalten könne.


Flankiert von einer Werbekampagne, die sich vielfach auf Teletubbie-Niveau bewegt, plant er in der zweiten Jahreshälfte eine Volksbefragung ohne rechtlich bindende Wirkung. Mit diesem Plebiszit von oben gibt sich der Senat demokratisch. Tatsächlich jedoch soll auf Basis frisierter Informationen einem möglichen Volksbegehren gegen die Spiele der Wind aus den Segeln genommen werden. Demokratie wird bei der Olympiabewerbung lediglich simuliert und nicht praktiziert.



Das Berliner NOlympia-Bündnis





  • DPA



    Das Bündnis NOlympia Berlin ist ein Zusammenschluss von Verbänden, Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen. Seit Juli 2014 kämpfen sie für das gemeinsame Ziel, die Bewerbung Berlins für die Olympischen Sommerspiele 2024 bzw. 2028 zu verhindern. Erstunterzeichner sind der Berliner Landesverband der NaturFreunde Deutschlands, das Ökologie-Netzwerk GRÜNE LIGA Berlin, der Berliner Landesverband des Naturschutzbundes Deutschland (NABU), der politische Sportverein Roter Stern Berlin 2012, die Fraktion DIE LINKE im Berliner Abgeordnetenhaus, die Lateinamerikanachrichten und das Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL).



Es ist insofern befremdlich, wenn deutsche Politiker immer noch scheinheilig behaupten, dass die Olympische Idee der Demokratie, der Humanität und dem Frieden in der Welt dienen würde. Angesichts der Tatsache, dass Wirtschafts- und Armutsflüchtlinge an den europäischen Grenzen systematisch abgeschreckt werden, wirkt es gar maßstabslos und zynisch, die für diese Opfer des globalen Wettbewerbs dringend benötigten Ressourcen im Namen der Humanität an die privilegierte "Jugend der Welt" zu verschwenden.

Die Stadt verliert, die Konzerne gewinnen


Überhaupt scheint der Senat das Gefühl für die richtigen Maßstäbe verloren zu haben. Die Bürger beobachten mit Sorge, dass in ihren Schulen der Unterricht wegen Bauschäden ausfällt, dass Kindergartenplätze fehlen, dass die Mieten immer weiter steigen, dass der Flughafenbau eine Milliarde nach der anderen verschlingt und vieles mehr. Es fehlt an Personal in Schulen und Bezirksämtern. Auf diesen Gebieten erwarten die Berliner Bürger intelligente Lösungen und energische Maßnahmen.


Stattdessen sehen sie, wie ihr Justizsenator Heilmann während seiner Arbeitszeit Pfannkuchen mit Olympia-Emblem in einer Markthalle verteilt, um der Stadt neue Milliarden-Ausgaben aufzubürden. Die Kosten für die letzten Olympischen Sommerspiele in London lagen offiziell bei ungefähr 12 Milliarden, für die Winterspiele in Sotschi nach Schätzungen bei etwa 40 Milliarden Euro. Multipliziert man diese Beträge mit der allgemeinen Teuerungsrate und berücksichtigt den für Berlin geltenden BER-Kostensteigerungsfaktor, möchte man sich das Ergebnis lieber nicht vorstellen. Kein Wunder, dass das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) aus wirtschaftlichen Gründen von der Olympiabewerbung Berlins abrät.


Während auf die Stadt also unabsehbare Milliardenrisiken für Investitionen mit begrenztem Nutzen zukommen, sind die Spiele für das IOC ein Geschäft mit Gewinngarantie. Es erhält riesige steuerfreie Profite, übernimmt jedoch keinerlei finanzielle Haftung.


Das Blaue vom Himmel versprochen


Das weckt Erinnerungen an eine überwunden geglaubte Zeit, für die symbolhaft vielleicht Klaus Böger steht. Als Präsident des Landessportbundes ist er einer der Hauptlobbyisten für die Olympia-Bewerbung. Der SPD-Politiker war maßgeblich an der skandalbehafteten Privatisierungswelle der 1990er Jahre beteiligt. Auch damals wurde den Bürgern das Blaue vom Himmel versprochen.

Doch in den Geheimverträgen der Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe beispielsweise wurde den Konzernen Veolia und RWE eine Gewinngarantie eingeräumt. Die Folge waren hohe Profite für die Konzerne und überteuerte Trinkwasserpreise. Erst fünfzehn Jahre später gelang es, die Konzerne mit einem Volksentscheid und einem Kostenaufwand von einem einstelligen Milliardenbetrag loszuwerden.


Dieses Mal werden die Berliner Bürger es wohl erst gar nicht soweit kommen lassen. Sollte sich der DOSB für Berlin entscheiden, dürfte ein Volksbegehren gegen die Olympiabewerbung leichtes Spiel haben. Die Berliner haben die Nase voll von Verträgen mit Gewinngarantie für Wirtschaftsunternehmen, die verantwortungslose Politiker in ihrem Namen abschließen. Berlin braucht vieles, aber keine Olympischen Spiele.


Zuletzt erklärten Thomas Heilmann und Tim Renner auf SPIEGEL ONLINE, warum Berlin sich unbedingt für die Spiele bewerben sollte.






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