samedi 28 février 2015

Mord an Putin-Gegner Nemzow: "Der Krieg ist zu uns gekommen"


Noch in der Nacht eilten sie an den Tatort, die politischen Mitstreiter von Boris Nemzow. Viele von ihnen waren in den langen Jahren in der Gegnerschaft zu Wladimir Putin auch enge Freunde geworden. Michail Kassjanow, ehemaliger Premierminister, rang um Fassung. Ilja Jaschin, ein Straßenkämpfer Anfang 30, wischte sich mit der Hand die Tränen aus dem Gesicht.


Ein paar Meter entfernt deckten da gerade Mitarbeiter russischer Sicherheitsbehörden den leblosen Körper Nemzows zu.Er wurde von mehreren Schüssen getroffen, im Zentrum von Moskau, in Sichtweite der roten Kremlmauer und der weltbekannten Basilius-Kathedrale.

Ex-Premier Kassjanow glaubt, dass der Ort für den Mord nicht zufällig gewählt worden sei. Die Tat sei ein "demonstrativer Akt", gedacht als Einschüchterung an die Adresse von "uns allen frei denkenden Menschen in Russland. Das Land stürzt dem Abgrund entgegen." Nemzow habe sich mit seinen Berichten über Korruption in Staatsstrukturen und während der Vorbereitungen der Olympischen Winterspiele in Sotschi viele Feinde gemacht.


Der Mord schockiert die russische Opposition. Die Kreml-Gegner hatten für Sonntag zu einer Großkundgebung aufgerufen. Geplant war eine fröhliche Demonstration unter dem Motto "Wesna - Frühling". Nun ist die Rede davon, die Veranstaltung umzuwidmen in einen Trauerzug für Nemzow - oder aber ganz abzusagen.


Die Mörder schossen mindestens sieben Mal


Der Mord wurde offenbar von Killern ausgeführt, die ihr Handwerk verstanden. Nach Behördenangaben soll es sich um zwei Angreifer gehandelt haben. Ihr Wagen soll neben Nemzow gestoppt haben, als der mit seiner Begleiterin über eine Brücke in Kreml-Nähe ging. Die Mörder feuerten mindestens sieben Mal, heißt es nach jüngsten Angaben. Sie flohen mit ihrem Auto. Russische Medien berichten von einem weißen Ford. Offenbar war Nemzow zuvor beschattet worden. Die Staatsanwaltschaft spricht von einem "Auftragsmord".


Nach Angaben von Mitstreiter Ilja Jaschin gab es regelmäßig Drohungen gegen Nemzow, auf Leibwächter habe der Oppositionspolitiker dennoch verzichtet. "Er war der Meinung: Wer mich töten will, schafft das auch, wenn ich bewacht werde", so Jaschin.


Die Drahtzieher des Anschlags vermuten viele Anhänger der russischen Opposition im Kreml. Auf Twitter machten die Hashtags #PutinMurderer (Putin-Mörder) und #PutinDidIt (Putin war es) die Runde. Nemzow selbst hatte in einem seiner letzten Interviews berichtet, er fürchte, "dass Putin mich umbringen will".


Andere Kreml-Gegner glauben das aber nicht. "Ich bezweifle, dass Putin den direkten Befehl dazu gegeben hat", so Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow. Schuld sei eher "vergiftete Atmosphäre des Hasses, die rund um die Uhr vom russischen Fernsehen genährt wird". Die russischen Staatsmedien fahren seit Monaten eine Schmutzkampagne gegen die Opposition. Für Sonntag hatte der zum Gazprom-Imperium gehörende Sender NTW einen Film angekündigt, in dem auch Nemzow als vom Westen bezahlter Agent diffamiert werden solle.


Der Kreml-Chef gibt den Ton vor für Kampagnen wie diese, seit er vor drei Jahren auf den Präsidentenposten zurückgekehrt ist. Ausgangspunkt war sein Auftritt nach dem Wahlsieg am 4. März 2012. Putin rückte Aktivisten und Anhänger der Opposition damals in die Nähe von Staatsfeinden, die "nur ein Ziel haben: die russische Staatlichkeit zerstören". Bei seiner Rede aus Anlass der Krim-Annexion ging er noch weiter und sprach von "National-Verrätern".


"Nur durch Angst wird die Opposition von ihren Plänen ablassen"


Grigorij Jawlinsky, Gründer der liberalen Jabloko-Partei, sieht einen Zusammenhang zwischen dem Mord und Russlands Attacken auf die Ukraine. "Der Krieg ist zu uns gekommen", so Jawlinskij. Nemzow habe sich klar gegen den Kriegskurs des Kreml positionert, dafür "hat man ihn gehasst".


Putin-Gegner Kasparow schließt nicht aus, dass rechte Kreise Nemzow auf eigene Faust ermordet haben könnten: "Vielleicht hat einer seiner Anhänger sich entschlossen, weiter zu gehen als der Kreml selbst und einen Feind Putins auszuschalten".


Dafür könnte die aufgeladene Rhetorik bei der jüngsten Kundgebung von Putin-Anhängern vor einer Woche in Moskau sprechen. Demonstranten reckten dabei auch Plakate in die Höhe, die Nemzow beschuldigten, in Moskau einen "Maidan" organisieren zu wollen, also eine prowestliche Revolution.

Einer der Organisatoren der "Anti-Maidan"-Kundgebung ließ auch durchblicken, wie er gegen die Opposition vorzugehen gedenke: mit Gewalt. "Nur durch Angst wird die Opposition von ihren Plänen ablassen", sagte Alexander Saldostanow. Er ist Anführer des Motorradclubs "Nachtwölfe" und in ganz Russland besser bekannt unter seinem Spitznamen "Chirurg".


Der Kreml kommentierte den Mord mit dem eigenen Zynismus. Putins Pressesprecher Dmitrij Peskow übermittelte den Angehörigen des "tragisch ums Leben gekommenen Boris Nemzow tiefes Mitleid", ging aber auch umgehend wieder zur Attacke auf den politischen Gegner über. Es sei zwar "zu früh, um irgendwelche Schlüsse zu ziehen". Die Tat trage aber alle Anzeichen "einer großen Provokation", sagte Peskow - und suggerierte damit, die tödlichen Schüsse seien womöglich von westlichen Geheimdiensten abgegeben oder gar von Nemzows eigenen Leuten.


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