In Karlsruhe beginnt an diesem Dienstag das letzte Gefecht um das Betreuungsgeld. Die umstrittene Leistung ist zwar längst Gesetz, durchgesetzt von der CSU. Seit Sommer 2013 bekommen Eltern, die ihre ein- bis dreijährigen Kinder nicht in eine staatlich geförderte Betreuungseinrichtung geben, Unterstützung vom deutschen Staat - erst 100 Euro, seit August vergangenen Jahres 150 Euro monatlich.
Doch die SPD-Landesregierung von Hamburg hatte Anfang 2013 beim Bundesverfassungsgericht Klage gegen das Betreuungsgeld erhoben - nun wird zum ersten Mal verhandelt. Wird die "Herdprämie" doch noch gekippt? Die wichtigsten Fragen zum Streit um das Betreuungsgeld.
Warum hat Hamburg geklagt?
Angeführt wird die Klage von Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und Sozialsenator Detlef Scheele (SPD). Sie halten das Gesetz zum Betreuungsgeld in mehreren Punkten für verfassungswidrig. So habe der Bund in dieser Frage gar keine verfassungsrechtliche Kompetenz.
Außerdem verstößt das Betreuungsgeld nach Ansicht der Hamburger gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Sozialsenator Scheele argumentiert, die Leistung verfestige alte Rollenbilder und halte Frauen davon ab, nach der Geburt schnell wieder in den Beruf einzusteigen. Im Kern geht es also um die Frage: Fördert das Betreuungsgeld ein ungleiches Lebensmodell?
Welche Rolle spielt Familienministerin Schwesig?
Manuela Schwesig steckt in einer komplizierten Situation. Bevor sie Familienministerin wurde, hat die SPD-Frau unerbittlich gegen das Betreuungsgeld gekämpft und es als "Fernhalteprämie" gebrandmarkt. Doch in den Koalitionsverhandlungen mit der Union schluckten die Genossen die ungeliebte Leistung. Schlimmer noch: Schwesig ist als Ministerin für das Betreuungsgeld zuständig, ihr Haus muss es nach der Geschäftsverteilung der Bundesregierung sogar in Karlsruhe verteidigen.
Besonders brisant: Zur mündlichen Verhandlung schickt Schwesig ihren Staatssekretär Ralf Kleindiek. Ausgerechnet Kleindiek aber hat die Klage aus Hamburg erfunden. Bevor er nach Berlin wechselte, war er Staatsrat in der Hamburger Justizbehörde und an der Vorbereitung der Klage maßgeblich beteiligt.
Schwesig und ihre Mitarbeiter versuchen, sich mit einem Trick aus der unangenehmen Lage zu winden. In der 74-seitigen Stellungnahme an das Gericht gehen die Absender auf den Gleichberechtigungsgrundsatz, den die Kläger anführen, nicht ein und drücken sich so vor einer politischen Bewertung. Sie wollen das Betreuungsgeld in der Hinsicht gar nicht verteidigen. Schwesigs Argumentation konzentriert sich darauf, dass der Bund, anders als es Hamburg sieht, das Gesetz wegen seines Auftrags zur öffentlichen Fürsorge erlassen durfte.
Wie reagiert die CSU?
Das Betreuungsgeld ist ein Herzensprojekt der CSU. Das Familienministerium nimmt man daher unter "besondere Beobachtung", am Dienstag reist dafür Bayerns Sozialministerin Emilia Müller nach Karlsruhe. Macht Kleindiek seine Sache nicht im Sinne der CSU, will sie bei Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) darauf drängen, den Staatssekretär von der Verhandlung abzuziehen. Altmaier hat Kleindiek in den vergangenen Wochen nach SPIEGEL-Informationen mehrmals auf dessen Auftrag, die Prämie für die Bundesregierung zu verteidigen, hingewiesen.
Mit Schrecken erinnert sich die CSU an die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht 2010, die Vorratsdatenspeicherung zu kippen. Damals hatte die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die zuvor gegen das Gesetz geklagt hatte, es später als Justizministerin nur halbherzig verteidigt.
Was soll das Betreuungsgeld bringen?
Die Befürworter argumentieren, das Geld sei eine Anerkennung für Eltern, die ihre Kinder komplett zuhause erziehen. Zudem sei das Betreuungsgeld neben dem Kita-Ausbau notwendig, um Eltern "echte Wahlfreiheit" zu gewährleisten.
Kritiker schimpfen dagegen auf die "Herdprämie", die - so argumentiert auch die Hamburger Regierung - Frauen dazu ermuntere, nach Geburt ihrer Kinder jahrelang zuhause zu bleiben. Insbesondere in sozial schwachen Familien führe das Angebot außerdem dazu, dass ausgerechnet Kinder, die außerfamiliäre Förderung bitter nötig hätten, nicht in die Kita gingen.
Wie viele Eltern beziehen Betreuungsgeld?
Ende 2014 bezogen laut Statistischem Bundesamt 386.483 Familien in Deutschland Betreuungsgeld. Die Zahlen sind zuletzt stark gestiegen. Anfang 2014 gab es nur knapp 146.000 Bezieher. Formal können Väter genauso wie Mütter die Prämie beziehen, in der Realität allerdings sind fast alle Empfänger Frauen. Das ist beim Elterngeld anders. Jeder dritte Vater nimmt wenigstens eine kurze Auszeit und bekommt dafür Elterngeld.
Es gibt auch eine große West-Ost-Kluft. In den neuen Bundesländern einschließlich Berlins nahmen Ende 2014 nur 27.619 Eltern das Geld in Anspruch. Am meisten Empfänger gibt es in Bayern - für die CSU der Beweis, dass sie mit ihrer Politik richtig liegt. Die Landesregierung im Freistaat hat allerdings auch viel für den Zulauf getan: Anträge für das Betreuungsgeld werden schon ausgefüllt an Eltern verschickt, müssen nur noch unterschrieben werden.
Kann Hamburg die Klage gewinnen?
Das ist schwierig zu beurteilen. Zunächst ist nur eine Verhandlung angesetzt. Aber dass Karlsruhe die Klage der Hamburger Regierung überhaupt angenommen hat, zeigt zumindest, dass die Verfassungsrichter die Kritik ernst nehmen. Zuvor hatte auch Bundespräsident Joachim Gauck lange mit seiner Unterschrift unter dem Gesetz gezögert - aus verfassungsrechtlichen Bedenken.
Betreuungsgeld | ||
Rang | Land | Zahl der Empfänger |
1 | Bayern | 85.683 |
2 | Nordrhein-Westfalen | 85.326 |
3 | Baden-Württemberg | 76.721 |
4 | Niedersachsen | 36.217 |
5 | Hessen | 30.574 |
6 | Rheinland-Pfalz | 20.548 |
7 | Schleswig-Holstein | 11.693 |
8 | Sachsen | 9790 |
9 | Berlin | 7369 |
10 | Hamburg | 5966 |
11 | Thüringen | 5373 |
12 | Saarland | 4087 |
13 | Brandenburg | 2191 |
14 | Bremen | 2049 |
15 | Mecklenburg-Vorpommern | 1557 |
16 | Sachsen-Anhalt | 1339 |
Summe | Früheres Bundesgebiet | 358.864 |
Summe | Neue Länder (einschl. Berlin) | 27.619 |
Quelle: Statistisches Bundesamt, Stand 4. Quartal 2014 |
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