Diese hohe Schule der Spitzfindigkeit dient vor allem einem Zweck - Deutschland will es sich mit dem Nato-Partner Türkei nicht verscherzen. Das Land am Bosporus wird gebraucht - nicht zuletzt als Stabilitätsanker in einer unruhigen Region. Berlin steht mit dieser Position nicht alleine - auch die USA verfahren in der Armenienfrage so, bis zum heutigen Präsidenten Barack Obama. Als US-Senator hatte er einst versprochen, den Fakt des Genozids an den christlichen Armeniern anzuerkennen, als US-Präsident aber ließ er von seinem Ziel ab.
Zumutung wie eine Adolf-Eichmann-Grundschule
Manches ist in Bewegung geraten, in der Türkei werden die Verbrechen an den Armeniern offener diskutiert als noch vor wenigen Jahren. Den Begriff des Völkermords aber lehnen Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und seine Führungsriege nach wie vor strikt ab. Der Weg zu einer wirklichen Aussöhnung ist noch weit. Die Namen der beiden Hauptakteure der damaligen Verbrechen - Talat und Cemal Pascha - werden bis heute in der Türkei verehrt. In einem Land wie Deutschland, das lange gebraucht hat, um sich offen seiner NS-Vergangenheit zu stellen, wäre es undenkbar, wenn Straßen oder Schulen nach Heinrich Himmler und Adolf Eichmann benannt sein würden. Ein Armenier aber, der heute in der Türkei lebt oder als Tourist durch das Land reist, muss die Namen der Organisatoren des Massenmords an den eigenen Landsleuten auf Straßenschildern oder Schulen ertragen.
Nun verteidigen sich die Koalitionsfraktionen, allen voran CDU/CSU damit, den Begriff des Völkermords doch noch in den Antrag hineingebracht zu haben (im Hintergrund stand auch die Sorge, der Bundespräsident werde sich zur Sache in dieser Woche deutlicher äußern). Der letzte Mut zur sprachlichen Klarheit und damit historischen Wahrheit aber fehlte den Koalitionären. Darüber können auch die Erläuterungen, die sich sonst noch im Haupttext des Antrags finden - erwähnt wird die "planmäßige Vertreibung und Vernichtung von über einer Million Armeniern" - nicht hinwegtäuschen.Die Koalitionsfraktionen halten sich also zurück - ob sie damit etwas gewinnen, ist allerdings fraglich. Die empfindliche türkische Staatsführung wird die deutsche Sprachdiplomatie kaum interessieren - solange das Wort "Völkermord" auch nur in einem Nebensatz auftaucht.
So erreichen Union und SPD keines der beiden möglichen Ziele: Weder benennen sie den Völkermord an den Armeniern so klar, wie sie sollten. Noch vermeiden sie den Konflikt mit Ankara.
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Jeannette Corbeau
E-Mail: Severin_Weiland@spiegel.de
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