Der Fall der 65-jährigen, werdenden Vierlings-Mutter Annegret Raunigk erreicht die Politik. Gesundheitsexperten von SPD und Union sind alarmiert, sie werfen der Berlinerin Verantwortungslosigkeit vor und warnen vor großen Gefahren von künstlichen Befruchtungen im Rentenalter.
"Ich halte das für einen sehr bedenklichen Fall. Eine solche Schwangerschaft kann und darf für niemanden ein Vorbild sein", sagte SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach SPIEGEL ONLINE. "Aus ärztlicher und ethischer Sicht wird hier eine Grenze überschritten. Wir wissen aus Erfahrung, dass es bei künstlichen Befruchtungen im hohen Alter ein erhebliches Risiko von Frühgeburten und Untergewicht gibt." Bei diesen Fällen sei die Wahrscheinlichkeit bleibender Schäden sehr hoch, warnte Lauterbach.
Auch CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn hält die Entscheidung der Berlinerin für fahrlässig. "Eine Schwangerschaft in fortgeschrittenem Alter bedeutet ein großes Risiko für Mutter und Kind. Auch wenn es medizinisch möglich ist, muss man sich fragen, ob es sinnvoll ist. Ich habe da große Zweifel", sagte Spahn SPIEGEL ONLINE.
Fall sorgt für Aufruhr unter SPIEGEL-ONLINE-Lesern
Der Fall der 65-Jährigen, die bereits Mutter von 13 Kindern ist, erregt seit Tagen große öffentliche Aufmerksamkeit. Weil die Eizellspende in Deutschland verboten ist, ließ sich die Russisch- und Englischlehrerin mehrfach im Ausland durch Samen- und Eizellenspenden künstlich befruchten. Sie lässt ihre Vierlings-Schwangerschaft vom Fernsehsender "RTL" begleiten.
Die Entscheidung der Berlinerin berührt sensible ethische Fragen rund um Altersgrenzen werdender Eltern und die Risiken der modernen Reproduktionsmedizin. Wie Lauterbach und Spahn sehen viele Menschen die Entscheidung Annegret Raunigks mit einem unverantwortlichen Risiko verbunden. Auf der Facebook-Seite von SPIEGEL ONLINE diskutieren Hunderte Leser den Fall mit einer Flut von Kommentaren. Der häufigste Vorwurf: Die 65-Jährige sei auf einem "Egotrip" und setze ihre noch ungeborenen Kinder massiven gesundheitlichen Gefahren aus. "Die armen Kinder", schreibt eine Leserin.
Auch die Frage, wie lange sich die Bald-Rentnerin um mehrere Säuglinge und später Kleinkinder überhaupt kümmern könne, wird häufig gestellt. Einige Stimmen verteidigen die Berliner Lehrerin - aber solche Kommentare sind, verglichen mit anderen emotional aufgeheizten Debatten, auffallend selten. In den internationalen Medien sorgt die spektakuläre Schwangerschaft ebenfalls für Wirbel. Die "65-year-old German woman pregnant with quadruplets" wird in Großbritannien oder den USA seit Tagen mit Schlagzeilen bedacht.
"Wir müssen diesen Fall diskutieren"
Die späte Schwangerschaft verläuft bislang ohne größere Komplikationen. Das 13. Kind der Grundschullehrerin war 2005 zur Welt gekommen. Annegret Raunigk verteidigte ihre Entscheidung öffentlich: "Ich bin der Meinung, dass jeder sein Leben so leben sollte, wie er möchte. Da es diese Möglichkeit gibt und sie auch von Tausenden Menschen genutzt wird, darf man die auch nutzen", sagte sie in der RTL-Sendung "Extra". "Wie muss man mit 65 sein? Man muss ja offensichtlich immer irgendwelchen Klischees entsprechen."
SPD-Experte Lauterbach hofft darauf, dass der Fall eine breitere Debatte hervorruft. "Wir müssen diesen Fall diskutieren", sagte er. "Er zeigt, dass sich die Grenzen der Elternschaft immer weiter ins hohe Alter verschieben und zunehmend riskante Verfahren eingesetzt werden. Ich beobachte diese Entwicklung mit großer Sorge. Wir dürfen nicht alles machen, was wir medizinisch können."
Den Gesetzgeber sieht Lauterbach nicht in der Pflicht. Rechtlich sei die Lage eindeutig. In Deutschland seien Eizellenspenden aus guten Gründen verboten. Das Embryonenschutzgesetz lasse keinerlei Klarheit vermissen.
Lauterbach und Spahn bekommen in ihrer Einschätzung des Falles Rückendeckung aus der Medizin. In der Schwangerschaft von Annegret Raunigk kommen gleich drei Risiken zusammen: Sie ist nicht nur Mitte Sechzig, die Alleinerziehende musste auch Eizell- und Samenspenden bekommen, und sie ist mit Vierlingen schwanger. "Alle drei Voraussetzungen sind Hochrisikofaktoren für eine Schwangerschaft", sagte Frank Louwen, Schriftführer der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe.
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