dimanche 1 mars 2015

Terrorangst in Bremen: "Wir haben alle Register gezogen"


Es fühlt sich an wie ein ganz normaler Sonntag. Auf dem Bremer Rathausplatz schieben am Mittag Eltern einen Kinderwagen, ein Straßenmusiker zupft "Autumn Leaves", die Sonne wärmt das Denkmal der Bremer Stadtmusikanten. Nur hier und da durchbricht eine heulende Sirene die Szenerie - und lässt erahnen, dass die Stadt die Nachwehen eines Ausnahmezustands erlebt.


Am Samstag hatten schwer bewaffnete Polizisten die Innenstadt in eine Hochsicherheitszone verwandelt. Beamte mit Maschinenpistolen patrouillierten vor markanten Gebäuden, vor der Bürgerschaft und der Synagoge. Man habe einen "konkreten Anschlag" von Islamisten nicht ausschließen können, sagt Innensenator Ulrich Mäurer, als er am Sonntag vor die Presse tritt. Inzwischen sei "die Aktion zurückgestuft" worden. Das Schlimmste ist offenbar vorbei.

Nur schemenhaft lässt sich bisher das Geschehen rekonstruieren. Im Zentrum steht das "Islamische Kulturzentrum" (IKZ), ein Moscheeverein, der als Sammelbecken für Salafisten gilt. Bereits seit Anfang des Jahres ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen einen 39-jährigen Libanesen aus dem Umfeld des IKZ. Der Verdacht: Waffenhandel.


Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (2.v.l.): "Alle Lampen auf Rot gegangen"Zur Großansicht

DPA


Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (2.v.l.): "Alle Lampen auf Rot gegangen"




Es gebe seit einiger Zeit "konkrete Hinweise", dass Personen aus der salafistischen Szene versuchten, "sich zu bewaffnen", so Mäurer. Am Freitagabend habe man "unter anderem durch eine Bundesbehörde" neue Erkenntnisse erlangt. Daher seien "bei den Sicherheitsbehörden alle Lampen auf Rot gegangen". Die Ermittler durchsuchten am Samstag das IKZ sowie Büro und Privatwohnung des Libanesen, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte. Das Ergebnis: mager. Waffen fanden sie nicht.

Der Libanese und ein zweiter Verdächtiger, ein mutmaßlicher Helfer, wurden vorübergehend festgenommen, kamen aber am Sonntagmorgen wieder frei. Die Auswertung sichergestellter Datenträger dauere an, so die Staatsanwaltschaft.


Bei dem "Hinweis einer Bundesbehörde" könnte es sich nach Informationen von SPIEGEL ONLINE um die Lagefortschreibung zum Gefährdungslagebild Nummer 35 des Bundeskriminalamts handeln. Darin analysieren BKA-Staatsschützer unter anderem Reisebewegungen von Dschihadisten und bezeichnen das Sicherheitsrisiko, das von aus Syrien zurückkehrenden Islamisten ausgeht. Auch thematisieren sie die jüngsten Anschläge in Europa, bei denen die Attentäter Schusswaffen verwendet hatten.


"Missverständlich ausgedrückt"


Die Behörden fangen seit Monaten immer wieder Hinweise auf, dass sich Gruppen potentieller Terroristen auf dem Weg ins Bundesgebiet befinden sollen. Bislang konnten diese Informationen jedoch nie konkretisiert werden. In Bremen sollen diese generellen Erkenntnisse des BKA übereingestimmt haben mit eigenen Informationen der Landesbehörden, mutmaßlich von V-Leuten oder aus abgehörten Telefonaten.


Offensichtlich hatten die Staats- und Verfassungsschützer der Hansestadt zuletzt mehrere Hinweise darauf, dass bekannte Größen der salafistischen Szene Besuch von Gesinnungsgenossen erhalten sollten, womöglich um mit Schusswaffen einen Anschlag zu begehen. "Unklar war jedoch bis zuletzt, um welche Art von Attentat und um welches Ziel es überhaupt gehen könnte", sagt ein hochrangiger Beamter.


Der Hinweis auf den Tipp einer Bundesbehörde löste bei Sicherheitsbehörden im ganzen Land hektische Betriebsamkeit aus. "Wir haben alle Tango getanzt", sagt ein Beamter aus Berlin. Die Nachrichtendienste und Polizeibehörden des Bundes versuchten am Samstag unter Hochdruck herauszufinden, welche und wessen Information den Großeinsatz ausgelöst haben könnte. Am Ende räumte die Bremer Polizei in Gesprächen mit Bundesbehörden wohl ein, sich "missverständlich ausgedrückt" zu haben. Es sei lediglich das Lagebild des BKA gemeint gewesen.


Senator Mäurer mühte sich am Sonntag, Kritik an der massiven Polizeireaktion im Ansatz zu ersticken. Die Informationen seien "ganz konkret" gewesen. Man wisse nicht, "wie weit die Dinge vorangeschritten sind und ob Waffen real existieren". Wenn aber etwas passiere, werde die Polizei gefragt, was sie getan habe. "Wir haben alle Register gezogen", sagte Mäurer, der sich derzeit bereits im Wahlkampf zur Landtagswahl befindet.


Viel Aufwand, wenig Wirkung


Man habe die Szene immerhin verunsichert, so der Innensenator. Als seien Irritationen von Islamisten inzwischen ein Wert an sich und rechtfertigten einen polizeilichen Großeinsatz. Im Grunde genommen war dieser Satz des Senators das Eingeständnis des Scheiterns: Die Behörden haben zwar mächtig auf den Busch geklopft, aber wenig bewirkt.


Bremen reiht sich damit ein in eine Serie ähnlicher Vorfälle. Vor zwei Wochen hatte die Polizei in Braunschweig aus Angst vor einem Anschlag den traditionsreichen Karnevalsumzug "Schodüvel" abgesagt. In Dresden war eine Demonstration der islamfeindlichen Pegida-Aktivisten von der Polizei verboten worden.

Bremen ist eine Salafistenhochburg, etwa 360 Personen werden der Szene zugerechnet. Nach Angaben von Mäurer sind bisher 19 Erwachsene und elf Kinder in den Krieg nach Syrien gezogen. Drei Männer seien bereits gestorben. Im Dezember hatte Mäurer den salafistischen Kultur- und Familienverein verboten.


In der Innenstadt zeigten sich Passanten am Sonntag gelassen. Gerd Pantke ist seit fünf Jahren Stadtführer, er bietet auch an diesem Wochenende Touren an. Er sagt: "Ich kann sowieso nichts dran ändern." Klaus Seebeck ist mit seiner Frau aus Bremerhaven zum Bummeln in die Hansestadt gekommen. Der 63-Jährige sagt, man könne sich gegen manche Gefahren nicht schützen. "Auch ein Flugzeug kann abstürzen." Ein bisschen mulmig ist ihm dennoch. "Polizisten mit Maschinenpistolen - das ist schon starker Tobak."


Polizisten in Bremen: Erhöhte SicherheitsmaßnahmenZur Großansicht

REUTERS


Polizisten in Bremen: Erhöhte Sicherheitsmaßnahmen








Share this post
  • Share to Facebook
  • Share to Twitter
  • Share to Google+
  • Share to Stumble Upon
  • Share to Evernote
  • Share to Blogger
  • Share to Email
  • Share to Yahoo Messenger
  • More...

0 commentaires:

Enregistrer un commentaire