mercredi 11 mars 2015

Athen droht mit Pfändung deutschen Eigentums: Dürfen die das?


Neue Eskalationsstufe im Schuldenstreit mit Athen: Der griechische Justizminister Nikos Paraskevopoulos droht damit, deutsches Eigentum in Griechenland zu beschlagnahmen. Mit diesem Geld sollen Reparationsforderungen für NS-Verbrechen aus den Vierzigerjahren durchgesetzt werden. Muss Deutschland diese Drohung ernst nehmen? Die wichtigsten Fragen und Antworten:


Um welche Verbrechen geht es?


Die Pfändungen sollen laut Paraskevopoulos als Entschädigung für ein Massaker der deutschen Wehrmacht dienen. In der Kleinstadt Distomo bei Delphi hatten Einheiten der Waffen-SS am 10. Juni 1944 218 Kinder, Frauen und Greise zusammengetrieben und getötet. Die Angehörigen der Opfer sollen nun mit beschlagnahmten deutschen Besitztümern für das damals erlittene Unrecht entschädigt werden.

Was fordert Athen von Deutschland?


Das griechische Verfassungsgericht hat eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von 1997 bestätigt, wonach den Familien der Opfer von Distomo 28 Millionen Euro als Entschädigung zustehen. Diese Summe will Paraskevopoulos mit der Beschlagnahme deutschen Eigentums aufbringen. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE erwägt er zudem, etwa 8500 griechische Antiquitäten aus Deutschland zurückzufordern.


Was hat das alles mit dem Schuldenstreit zu tun?


Seine endgültige Entscheidung will Paraskevopoulos von der "Komplexität des Falls" und "weitreichenderen nationalen Fragen" abhängig machen. Diese Formulierung ließe sich als indirekte Erpressung im Schuldenstreit interpretieren, Tenor: Griechenland verzichtet auf die Pfändung, wenn es zu einer Einigung mit Brüssel kommt.


Ein Mitglied des Nationalen Reparationsausschusses wies diesen Zusammenhang zurück. Paraskevopoulos habe mit "weitreichenderen nationalen Fragen" nicht auf den Schuldenstreit angespielt - sondern auf die Debatte um Reparationsforderungen für NS-Unrecht aus dem Zweiten Weltkrieg.


Wie realistisch ist das Vorhaben?


Nach griechischem Recht muss der Justizminister solche Beschlagnahmungen genehmigen, und Paraskevopoulos ist nicht abgeneigt: "Ich beabsichtige, die Erlaubnis zu geben", sagte er im griechischen Fernsehen. Die endgültige Entscheidung werde jedoch die Regierung treffen.


Es wäre nicht das erste Mal, dass die griechische Regierung mit solchen Ankündigungen außenpolitische Ziele erzwingen würde: Im Jahr 2000 genehmigte die Regierung, damals war die sozialistische Pasok an der Macht, Pfändungen im Goethe-Institut, der Deutschen Schule in Athen und dem Deutschen Archäologischen Institut. Der Justizminister zog seine Entscheidung laut Presseberichten erst zurück, nachdem Deutschland dem griechischen Eurobeitritt zugestimmt hatte.


Wären solche Beschlagnahmungen rechtens?


Hoheitliches Vermögen des deutschen Staates - also etwa die Deutsche Schule oder das Goethe-Institut in Athen - dürfe nicht beschlagnahmt werden, sagt die Völkerrechtlerin Silja Vöneky von der Universität Freiburg: "Das würde gegen das Völkerrecht verstoßen", so die Juristin. Denn 2012 habe der Internationale Gerichtshof (IGH) entschieden, dass Staaten nicht von ausländischen Gerichten wegen Kriegsverbrechen zu Schadenersatzzahlungen verurteilt werden können.


Schon damals hatten sich Hinterbliebene der Opfer des Distomo-Massakers in Griechenland durch alle Instanzen geklagt und wollten deutsches Staatseigentum beschlagnahmen lassen. Doch dieses Vorgehen scheiterte an zwei Völkerrechts-Grundsätzen: Staaten sind immun gegen Klagen "natürlicher Personen" und dürfen nicht über einen anderen Staat urteilen. Sprich: Die griechische Regierung müsste selbst vor den IGH ziehen und versuchen, dort ihre Ansprüche durchzusetzen.


Ohnehin vertritt die Bundesregierung den Standpunkt, dass solche Forderungen spätestens nach der Wiedervereinigung mit dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag ihre Berechtigung verloren haben. Nach SPIEGEL-Informationen hielt die Bundesregierung Griechenland bei den Verhandlungen 1990 vom Verhandlungstisch fern und vermied Formulierungen, aus denen sich Entschädigungsforderungen hätten ableiten lassen. Eindeutig ist der Fall aber nicht: Laut einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, das SPIEGEL ONLINE vorliegt, sind Reparationsforderungen aus völkerrechtlicher Sicht zumindest "nicht schon durch den bloßen Abschluss des Zwei-Plus-Vier-Vertrages erloschen".

Gibt es weitere Forderungen dieser Art an Deutschland?


Das Massaker von Distomo ist nur einer von vielen Streitpunkten in der Debatte: Auch für andere Massaker zwischen 1940 und 1945 fordert Athen Geld aus Berlin. Denn Griechenland wurde in den Sechzigerjahren zwar an globalen Reparationszahlungen mit der vergleichsweise geringen Summe von 115 Millionen Mark beteiligt. Zur individuellen Entschädigung von Opfern kam es jedoch nicht - weil das Völkerrecht solche Zahlungen nur zwischen Staaten vorsieht.


Weniger eindeutig ist die Rechtslage im Fall eines Kredits, den das Hitler-Regime 1942 vom besetzten Griechenland erzwungen hatte: 476 Millionen Reichsmark erhielt das Deutsche Reich von der griechischen Nationalbank, zahlte die Anleihe aber nie zurück. Deren heutiger Wert liegt Gutachten zufolge zwischen 8,25 und elf Milliarden Euro - und in diesem Fall ist die griechische Rückzahlungsforderung keineswegs völlig abwegig.


Mitarbeit: Giorgos Christides






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