mardi 7 avril 2015

Wut auf Journalisten: Die da oben schreiben doch eh, was sie wollen!


Alternativ ist eine der Vokabeln aus dem politischen Wörterbuch, die Begriff und Verheißung zugleich sind. Alternativ zu sein heißt nicht nur, etwas Anderes auf die Beine zu stellen, sondern bedeutet auch, den Weg über das Bestehende hinaus in eine bessere Welt zu weisen. Seit die Alternativbewegung ihre lange Pilgerfahrt antrat, hat sich neben dem Eingesessenen und Etablierten ein Kosmos entwickelt, der in Wahrheit weit mehr sein will als eine Alternative: Was sich hier manifestiert, ist nach Überzeugung der Anhänger das Eigentliche.


Es hieße den Anspruch der alternativen Welt zu verkennen, würde man sie auf kulturelle Praktiken wie Musik, Essen oder Mode beschränkt sehen. Tatsächlich geht es um nicht weniger als die Verbreitung eines Denkens, das alles in Frage stellt, was gemeinhin als wahr gilt. Zu dem "alternativen Wissen", das es zu etablieren gilt, zählt die homöopathische Krebstherapie ebenso wie die esoterische Erklärung der Eurokrise. Zentrale Bedeutung kommt dabei Blogs und Webseiten zu, die eine Art Gegenöffentlichkeit bilden. Oder wie in einer Selbstbeschreibung zu lesen ist: "Alternativ heißt, es sind keine von den Matrix-Medien wie z.B. Bild, SPIEGEL, WAZ, FAZ, N24."

Jede Bewegung hat ihren Tipping Point, der aus einer kleinen eine große Sache macht. Wenn man den Wegbereitern der alternativen Medien glauben darf, dann ist dieser Umkehrpunkt mit der Flugzeugkatastrophe in den französischen Alpen erreicht, die dem Publikum vor Augen geführt hat, wie unglaubwürdig die Traditionspresse ist. Dass mit dem Absturz der Germanwings-Maschine auch ein Absturz des klassischen Journalismus einhergeht, ist ein Satz, auf den sich die Medienkritik von links bis rechts sofort einigen kann.


"Die da oben"


Schauen wir, wie in der Gegenöffentlichkeit des Internets über das Unglück berichtet wird. Man lernt dort, dass die Maschine nach dem Sinkflug wieder in einen Horizontalflug ging, was den Schluss zulässt, dass Andreas Lubitz nicht der Mann ist, für den man ihn hält. Eine Augenzeugin hat beim Überflug von drei Mirage in niedriger Höhe einen Knall gehört. Vermeintliche Mitschnitte des Stimmrekorders erweisen sich als Fälschung, wie eine Spektrumanalyse der Blackbox-Audiodaten zeigt. Warum das alles verschwiegen wird? Vielleicht "um eine der größten Rufmord-Kampagnen in der Geschichte der Informationsindustrie zu entfachen", wie es bei "Telepolis" heißt, einer der führenden Webseiten der alternativen Pressewelt.


Und das ist erst der Anfang der Dekonstruktion des Lügengebäudes. Auf "Quer-Denken TV" findet man den Hinweis, dass Lubitz in Wahrheit im Kofferraum seines Wagens am Flughafen in Barcelona aufgefunden wurde. Auf einem YouTube-Kanal des Impfgegners und ehemaligen Schlagerstars Christian Anders wird ausgeführt, dass die Passagiere bereits vor dem Flug tot gewesen sind. Muss man noch ausführen, dass nirgendwo erwähnt wird, dass vor 60 Jahre ganz in der Nähe des Unglücksortes schon einmal eine Maschine abstürzte?


Man mag diese Auswahl für willkürlich halten. Aber sie ist nicht willkürlicher als die Beispiele, die den Absturz des Journalismus belegen sollen. Wenn man auf den Punkt bringen soll, was die Verächter des "Mainstream-Journalismus" verbindet, dann ist das der Zorn auf die da oben. Früher waren "die da oben" die Politiker oder die Reichen, jetzt sind es auch die arrivierten Journalisten. Ob jemand beim SPIEGEL oder bei SPIEGEL ONLINE angestellt ist, macht dabei keinen Unterschied mehr. Er bekommt jeden Monat sein Gehalt, das reicht, ihn für satt und faul zu halten. Was anderswo als arbeitnehmerrechtliche Errungenschaft gilt, für deren Beibehaltung Gewerkschaften notfalls auf die Straße gehen, ist in der neuen Welt ein Makel, der zeigt, wie sehr man sich hat korrumpieren lassen.


Jeder Smartphone-Besitzer wird zum Berichterstatter


Seine Autorität leiht sich der Alternativjournalismus von der schweigenden Mehrheit, die er vertritt. Vom "Citizen Journalism" sprechen die Verfechter, was so klingt, als ob man sich nur von der Medienelite zurückholt, was diese einem gestohlen hat. Der letzte Schrei bei diesem als Selbstermächtigung gefeierten Bürgerjournalismus sind Livestream-Apps wie Periscope oder Meerkat, die aus jedem mit einem Smartphone einen Berichterstatter machen.


Bemerkenswert ist auch hier der schneidende Ton, mit dem über Leute geurteilt wird, mit denen man eben noch zusammen gearbeitet hat. "Anders als die sensationsheischenden Journalisten-Darsteller von CNN oder Fox-News gelingt es der Kollegin, sachlich und unaufgeregt ihre Eindrücke auch jenseits des Kamerabildes zu schildern", schreibt der Internet-Prediger Richard Gutjahr über die Livestream-Vorführung anlässlich eines Großbrandes in New York. Gutjahr hat früher selber mal als Trainee für CNN gearbeitet. Heute gehört er zu den Leuten, die ein Geschäftsmodell daraus entwickelt haben, den Alt-Medien ihren Untergang vorherzusagen. Dass ein Gutteil seiner Auftraggeber dabei völlig ungerührt bleiben kann, weil sie gebührenfinanziert sind, ist eine Pointe, die der Gutjahr-Gemeinde entgangenen zu sein scheint.

Ein Schritt über eine Absperrung und eine Anfrage nach einem Foto gelten heute schon als Presseskandal. Man darf gespannt sein, wie es mit den Persönlichkeitsrechten von Angehörigen aussieht, wenn erst einmal die Bürgerjournalisten durch den Vorgarten trampeln. Für die Citizen-Reporter gibt es keinen Verhaltenskodex und auch keinen Presserat, bei dem man sich beschweren könnte. Sehen heißt senden.


Wenn man dabei einen Schritt zu weit gegangen ist oder sich dabei vertan hat, dann ist das Pech - für diejenigen, die im Bild waren.






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