jeudi 2 avril 2015

Peter Gauweilers Abschied: Bayerische Politpornografie


"Ihr oder ich" hat Horst Seehofer vor ein paar Wochen gerufen. Und einer der beiden Angesprochenen hat nun reagiert: Peter Gauweiler scheidet aus dem CSU-Parteivorstand aus und verzichtet auch auf sein Abgeordnetenmandat im Bundestag. Was aus dem anderen wird, Peter Ramsauer, ist jenseits bayerischer Gefilde wurscht. Aber der Verlust Gauweilers hat die deutsche Öffentlichkeit erschüttert.


Rechts und links lässt man jetzt den Lobgesang auf das"CSU-Urgestein" ("Bild") und den "kantigen bayerischen Intellektuellen" ("Welt") hören. Mit ihm verliere seine Partei einen "Widerspruchsgeist, einen Sturkopf und schwierigen Kerl" ("Berliner Zeitung"). Und Oskar Lafontaine, bei dem das Herz links schlägt - während es bei Gauweiler stets am rechten Fleck saß - wird geradezu lyrisch: "Der aufrechte Gang ist schwer. Peter Gauweiler geht ihn. Er lässt sich nicht verbiegen. Bravo!"

Gauweiler liebt Inszenierungen. Seine ganze Politik war immer eine große Inszenierung. Für die "Bild"-Zeitung hat er sich jetzt ins rechte Licht rücken lassen. In einer Holzstube des Spatenhauses, die Tischdecke im Weiß-Blau, das Kruzifix, auf dem Tisch steht eine Halbe. Der Gauweiler Peter trägt die alte Hirschlederne, darüber den guten Janker mit den Hirschhornknöpfen und die schilfleinene Weste. Die schönen Haferl Schuhe und dazu natürlich graue Umschlagstrümpfe mit einem ganz süßen Zopfmuster. Seine Beine sind breit und die Knie sind nackt und rund. Keine Frage, wäre er 30 Jahre jünger und hätte Haare auf dem Kopf: Der Leder-Peter hätte in Luchino Viscontis Ludwig II einen Platz finden können.


Gauweilers Blick ist voll trotziger Herausforderung, passend zum Statement, das seinen Rücktritt begleitete: "Von mir ist öffentlich verlangt worden, dass ich - weil CSU-Vize - im Bundestag so abstimme, dass ich mich für das Gegenteil dessen entscheide, was ich seit Jahren vor dem Bundesverfassungsgericht und vor meinen Wählern vertrete und was ich als geltenden Inhalt der CSU-Programme verstehe. Dies ist mit meinem Verständnis der Aufgaben eines Abgeordneten unvereinbar."


Der Anwalt Gauweiler ist nun gerade kein Einser-Jurist. Aber den Artikel 38 Grundgesetz, den kennt er zweifellos auswendig. Da steht, dass ein Abgeordneter des Deutschen Bundestages nur seinem Gewissen unterworfen sei. Im Alltag der Fraktionsdisziplin bedeutet dieser Artikel nicht viel. Aber Gauweiler nahm ihn immer sehr ernst. Vor allem dann, wenn sein Gewissen ihm riet, er werde in seiner Münchner Kanzlei viel dringender gebraucht als in den Berliner Sitzungen. So war der Mann, den manche Zeitungen gerade zum Sinnbild des aufrechten Demokraten stilisieren, im Bundestag vor allem für seine Abwesenheit bekannt. Zuletzt, so hat SPIEGEL ONLINE ausgerechnet, nahm er vergangenes Jahr nicht mal an der Hälfte der namentlichen Abstimmungen teil.


Seinem Protest haftet stets etwas Unernstes an


Die Person Gauweiler ist eine Anmaßung. Die wahre Auslegung des CSU-Programms und das echte Verständnis des Abgeordneten-Wesens - das alles obliegt im Universum Gauweiler nur einem: Peter Gauweiler. Und wenn Kleist über seinen Kohlhaas sagt, er habe ein "Rechtgefühl, das einer Goldwaage glich", dann wäre Gauweiler sicher von diesem Vergleich geschmeichelt. Aber er selber ginge nie bis zum bitteren Ende: "Der Michael Kohlhaas war ja nur bis zur Hälfte der Geschichte sympathisch", sagt Gauweiler. "Später wird er ein armer Narr, der Böses mit Bösem vergilt."


Bei Gauweiler ist der revolutionäre Impetus nur gespielt, sein Münchner Grantlertum nichts als Polit-Folklore. Seinem Protest haftet stets etwas Unernstes an. Er war eine bayerische Pippi Langstrumpf, der macht sich die Welt widde-widde-wie sie ihm gefällt. In seiner Kanzlei stand immer ein Koffer voll Gold - gefüttert von einträglichen Mandaten, manche anständiger als andere - mit dem er sich sein politisches Pippi-Lotta-Leben locker leisten konnte.


Das war den Journalisten egal. Brave Pflichterfüllung ist langweilig. Sie liebten Gauweiler für seine Abweichungen: Egal ob es um den Irak-Krieg ging, um Afghanistan, oder die jüngste Krim-Krise. Da hatte der "Sturschädel" ("SZ") immer seine eigene Meinung. Und wenn unter der Lederhose das Lied von der Rebellion gejodelt wurde half Gauweiler mit seiner bayerischen Politpornografie den feuchten Träume gelangweilter Journalisten auf die Sprünge.


Aber dass die Öffentlichkeit mit dem Reaktionär Gauweiler so gnädig verfahren ist, das nimmt Wunder. Sein gegenwärtiger unerbittlicher Kampf gegen die gemeinsame europäische Währung ist ebenso reaktionär wie es sein Kampf gegen die Seuche Aids in den Achtzigerjahren war.

Als Innenstaatssekretär wollte er das Sexualverhalten der Bayern administrativ regeln: Aids-Tests für Prostituierte, Ausländer, Beamtenanwärter oder Wehrpflichtige, eine Aids-Meldepflicht für alle, und "uneinsichtige" Infizierte sollten "abgesondert" werden. Selbst Heiner Geißler, damals noch ein schlimmer Scharfmacher forderte seinerzeit: "Ratio statt Razzia".


Gauweiler war immer die CSU in der CSU. Der Abweichler in der Partei der Abweichler. Aber mit beiden geht es bergab. Zum Glück.






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