mardi 7 avril 2015

Brandanschlag auf Flüchtlingsheim: Die Wunden von Tröglitz


Die Flammen haben sich tief in den Dachstuhl gefressen. Sie haben ein riesiges Loch in dem Wohnhaus hinterlassen, in der Ernst-Thälmann Straße, wo ab Mai 40 Flüchtlinge leben sollten. Übrig geblieben sind ein schwarzes Balkengerippe und zertrümmerte rote Ziegel. Eine klaffende Wunde, die viele Tröglitzer immer noch sprachlos macht. Wie mit solch einem Brandanschlag umgehen? Nur wenige in dem 2700-Einwohner-Ort trauen sich zu äußern.


Die Angst beherrscht viele in Tröglitz - auch Kitty Kober. Wer sind die Brandstifter? Sind es wirklich Rechtsextreme? Was haben die noch vor? Die 78-jährige wohnt gegenüber der geplanten Asylbewerberunterkunft, blickt lange auf das stark beschädigte Gebäude, vor dem nun rund um die Uhr ein Streifenwagen wacht. Sie ringt um Worte:


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20.000 Euro Belohnung hat das Land Sachsen-Anhalt mittlerweile für Hinweise zur Ergreifung des oder der Tröglitz-Täter ausgesetzt. 17 Ermittler arbeiten an dem Fall, am Mittwoch wollen sie eine umfangreiche Befragung in der Stadt durchführen.

Auch Mitarbeiter des Landratsamtes sind in Tröglitz unterwegs. Landrat Götz Ulrich (CDU) hat angekündigt, dass trotz des Angriffs auf die geplante Flüchtlingsunterkunft Asylbewerber im Mai kommen werden - allerdings erst weniger als geplant. Ziel sei es, für zunächst "acht, zehn oder zwölf Flüchtlinge" privaten Wohnraum zu organisieren, sagt der Sprecher des Landesinnenministeriums. Ulrich betont, es gebe mehrere Angebote. Welche das sind, will seine Behörde nicht sagen.


Öffentlich hat bisher nur der nach NPD-Drohungen zurückgetretene Bürgermeister Markus Nierth 150 Quadratmeter angeboten - Raum für zwei Familien. Doch kann man den Flüchtlingen wirklich zumuten nach Tröglitz zu kommen? Sind sie hier sicher?


Von einer "Gratwanderung" spricht Gemeindepfarrer Matthias Keilholz, aber er glaubt, dass dieser Weg "große Chancen" birge. "Je eher wir Flüchtlinge in den Ort bringen, desto eher können wir zeigen, dass es gut laufen wird", sagt er. "Wir müssen davon ausgehen, dass die Flüchtlinge mitbekommen, was hier passiert ist - aber was ist die Alternative - vor den Rechten einzuknicken?" Die Behörden haben angekündigt, die privaten Unterkünfte der Asylbewerber schützen zu wollen. Das Engagement aber müsse von dem Menschen im Ort kommen. "Es sind die Tröglitzer, die sich positionieren müssen, nicht nur wir Amtsträger", appelliert der Pfarrer.


"Ich finde gut, dass Flüchtlinge kommen, hier stehen einige Wohnungen leer", sagt eine 59-Jährige Tröglitzerin, die vor dem Supermarkt am Friedensplatz aus ihrem Auto steigt. Er liegt etwa 50 Meter von dem angezündeten Mehrfamilienhaus entfernt. "Es drängt sich mir leider auch der Gedanke auf, dass sie (die Täter - Anm. der Redaktion) diese neuen Unterkünfte dann auch noch abfackeln könnten", sagt die Frau, die ihren Namen lieber nicht nennen möchte. Eine "Schweinerei" sei die Brandstiftung. Wie es in ihrer Stadt weitergehen solle? "Ich weiß es einfach nicht."

Sie ist nicht die einzige, die so reagiert. Viele Angesprochene blocken sofort ab, "Nee lassen sie mal" oder sagen gar nichts. Wohnraum anbieten will keiner. Vor dem Supermarkt steht ein älterer Mann, schwarze Mütze auf dem Kopf, Bierflasche in der Hand: "Ich habe keine Zeit." Tröglitzer Schweigen.


Andere zögern zunächst, dann bricht es aus ihnen hinaus. Es ist das zweite Mal, dass Robby Schreier mit seinen vier französischen Bulldoggen am Friedensplatz vorbeiläuft. Beim ersten Mal hatte der 30-Jährige noch so etwas wie "Ich sage gar nichts" gebrummelt. Doch jetzt brüllt er: "Das ist eine Hetzkampagne. Was kann denn Tröglitz dafür?" Der Dorfkern sei nach wie vor bereit, Asylbewerber aufzunehmen, die Menschen müssten ja versorgt werden, man sei im Ort alles andere als rechtsradikal. NPD-Vertreter von außerhalb, CDU-Politiker sowie Ex-Bürgermeister Nierth und seine Unterstützer würden "sich bekriegen".




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Wie stark der Groll untereinander ist, zeigt sich auch auf Facebook-Seiten wie "Tröglitzer". Hier sind Gegner der Flüchtlingsunterkunft aktiv, die wochenlang durch den Ort marschierten, vorneweg ein NPD-Kreisfunktionär. "Scheiß auf Kitas, Deutschland baut Asylheime", postet einer der Seite. Eine Mandy teilt einen Artikel aus dem Parteiblatt "Deutsche Stimme" über den Brandanschlag.

"Wir wollen endlich wieder Frieden im Ort", hat ein Tröglitzer auf ein altes Infoblatt des Ex-Bürgermeisters gepinselt, das noch am Schwarzen Brett neben dem Supermarkt hängt. "Es ist nun genug passiert, hör endlich auf zu provozieren und zu beleidigen, Nierth." Der steht nach Morddrohungen - wie auch inzwischen der Landrat - unter Polizeischutz. Unterkriegen lassen wollen sie sich nicht, auch weil es Leute wie Manfred Pohl, 71 Jahre, und seine Lebensgefährtin Katharina Schubert, 73 Jahre, gibt.




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"Eine Schande" nennt Pohl das angefackelte Haus. Er blickt von seinem Küchenfenster zum klaffenden Loch hinüber. "Die schweigende Mehrheit muss endlich den Mund aufmachen." Seine Lebensgefährtin ist Vorsitzende der katholischen Gemeinde, kam als vierjähriges Flüchtlingskind aus Schlesien nach Tröglitz: "Damals gab es Solidarität, die sollten wir auch heute zeigen." Sie will Spenden für die Flüchtlinge sammeln, gemeinsame Frühstücke organisieren, Deutsch- und Englischlehrer im Ort einbeziehen. Sie sagt: "Jetzt müssen wir was gutmachen."




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