mardi 10 mars 2015

Griechische Euro-Verhandlungen: Holt den Psychiater!


Die "Frankfurter Allgemeine" hat am Wochenende ein Interview mit dem Berliner Psychiater Andreas Heinz über "psychotisches Erleben" veröffentlicht. Es ermöglicht einen guten Einblick in die Gedankenwelt von Menschen, denen der normale Wirklichkeitsbezug abhanden gekommen ist. "In Psychosen werden Erfahrungen gemacht, die menschliche Erfahrungs- und Interpretationsmöglichkeiten im Extrem zeigen", sagt Heinz. Von Menschen, die unter wahnhaften Vorstellungen leiden, könnten wir lernen, wie brüchig die Welt sei, die wir für selbstverständlich hielten.


Leider ist der Redaktion beim Abdruck ein Fehler unterlaufen: Sie hat das Interview an die falsche Stelle gerückt. Es hätte nicht ins Feuilleton gehört, wo es versehentlich stand, sondern in den Wirtschaftsteil, dessen Mitarbeiter sich wie alle Wirtschaftsredakteure derzeit bemühen, die Ereignisse in Griechenland richtig zu deuten. Was der Direktor der Klinik für Psychiatrie an der Berliner Charité über die psychotische Wahrnehmung zu sagen weiß, lässt sich mühelos auf das Vorgehen der Regierung Tsipras übertragen.

Die obsessive Beschäftigung mit imaginären Feinden


Weil Finanzminister Varoufakis als Experte für Spieltheorie gilt, wurde bislang die Mathematik bemüht, um das Verhalten der neuen Herren in Athen zu erklären. Aber das ist der falsche Ansatz, wie sich zeigt. Der erratische Auftritt der Syriza-Leute lässt sich in Wahrheit nicht spieltheoretisch verstehen, sondern nur psychopathologisch. Wer genau hinhört, findet alle Elemente, die Fachleute dem "psychotischen Erleben" zurechnen: Da ist die fixe Idee, die das Denken in Beschlag nimmt, die obsessive Beschäftigung mit imaginären Feinden, die immer zahlreicher werden (nach Deutschland nun auch Italien und Spanien), die Unfähigkeit, die Dinge so wie die Umgebung zu sehen.


Für die psychotische Persönlichkeit ist Wirklichkeit grundsätzlich anders konstruiert, deshalb fällt die Verständigung ja auch so schwer. Für sie ist die Realität keine Entität, auf deren Zusammenhalt man vertrauen kann, sondern etwas Labiles, das schon morgen eine ganz andere Bedeutung haben kann als heute. Die Welt ist in wahrstem Sinne verrückt: Es kann das eine gelten, aber auch das Gegenteil.


Nicht alles, was psychotisch ist, ist auch eine Krankheit


Die griechische Regierung erklärt, ein neues Hilfsprogramm sei unnötig, man sei flüssig, erwirtschafte sogar Überschüsse - sei jedoch bankrott. Sie kündigt an, auf weitere Kredite verzichten zu wollen, wenn die Konditionen nicht geändert würden, zu denen sie sich gerade verpflichtet hat - aber ohne Soforthilfe der EZB drohe das Ende. Ein Schuldenschnitt sei vom Tisch, es brauche jetzt eine Umschuldung, die die Schuldenlast deutlich senke.


Vieles von dem, was aus Athen kommt, wirkt auf jemanden, der nicht in klinischer Psychologie geschult ist, nachgerade phantastisch. Was soll man von dem Vorschlag halten, Touristen und Hausfrauen zu Steuerfahndern auszubilden, um so der Steuerhinterziehung Einhalt zu gebieten? Nicht minder originell ist die Idee, Flüchtlinge als Waffe einzusetzen, indem man droht, sie mit Papieren auszustatten und nach Berlin zu schicken. Die Verhandlungspartner in den europäischen Hauptstädten haben sich instinktiv umgestellt und benutzen therapeutisches Vokabular, wenn die Rede auf Athen kommt.


Wer ist hier eigentlich verrückt?


Die gute Nachricht ist, dass nicht jede psychotische Erfahrung als Krankheit zu werten ist. Oft lässt sich ein weitgehend normales Leben führen. Erst wenn es zu Beeinträchtigungen kommt, die eine soziale Teilhabe im Alltag in Frage stellen, rät der Psychiater zur Intervention. Die spannende Frage ist, wie man mit einer Regierung umgeht, die unter Halluzinationen leidet.


Leider deutet alles darauf hin, dass Tsipras und seine Leute ihren Wahn nicht mehr unter Kontrolle haben. Dass den griechischen Banken das Geld ausgeht, liegt nicht an Beschlüssen in Berlin oder Brüssel, sondern an der Angst der Griechen, schon morgen kein Geld mehr auf dem Konto vorzufinden. Allein im Dezember und Januar haben sie 17 Milliarden Euro bei den Kreditinstituten abgehoben, im Februar wird noch einmal mit sechs Milliarden gerechnet.

Statt beruhigend auf die Bürger einzuwirken, erhöht die neue Regierung mit widersprüchlichen Aussagen die Nervosität. Wer nur noch auf seine inneren Stimmen hört, die ihm sagen, dass er richtig liegt und alle anderen falsch, verliert notwendigerweise den Blick für die Folgen seines Handelns.


Es ist erstaunlich, dass die seltsamen Helden von Syriza noch immer Bewunderung auf sich ziehen, aber der sentimentale Blick auf den Wahn hat links der Mitte Tradition. Von dem marxistischen Psychiater David Cooper stammt die Idee, dass Schizophrenie ein gesellschaftliches Produkt sei, das nur durch eine Revolution geheilt werden könne. So ähnlich argumentieren auch Tsipras und sein Finanzminister: Nicht Syriza ist verrückt, sondern der Kapitalismus, der sie umgibt.







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