lundi 2 mars 2015

Ende im Edathy-Prozess: Gestraft fürs Leben


Es sollte keine "Wischiwaschi-Verteidiger-Einlassung" sein. Das war die Bedingung von Oberstaatsanwalt Thomas Klinge, nur bei einer "glaubhaften, geständigen Einlassung" würde er Sebastian Edathy die weitere Schmach ersparen und einer Einstellung des Verfahrens wegen des Besitzes und des Konsums von Kinderpornographie zustimmen. So lässt der ehemalige SPD-Abgeordnete am Montag um 10.06 Uhr vor der 2. Große Strafkammer des Landgerichts Verden seinen Verteidiger Christian Noll eine Erklärung verlesen.


"Die Vorwürfe treffen zu", liest Noll von einem handgeschriebenen Blatt Papier ab. "Ich habe eingesehen, dass ich einen Fehler begangen habe. Ich habe dazu lange gebraucht." Je mehr er öffentlich angegriffen worden sei, desto mehr habe er das Gefühl gehabt, sich verteidigen zu müssen. "Ich bereue, was ich getan habe."

Ob die von Noll vorgetragene Erklärung der Wahrheit entspreche und seine Worte widergebe, fragt der Vorsitzende Richter Jürgen Seifert den Angeklagten. Edathy räuspert sich, richtet das Mikrofon: "Ich bestätige hiermit, dass Herr Noll eine mit mir abgestimmte Erklärung abgegeben hat." Das Wort "Geständnis" fällt kein einziges Mal.


Damit ist die wichtigste Bedingung zur Einstellung eines Verfahrens nach Paragraph 153a der Strafprozessordnung erfüllt. Edathy muss zudem eine Geldstrafe von 5000 Euro an den Deutschen Kinderschutzbund, Landesverband Niedersachsen, zahlen. Er gilt als nicht vorbestraft.


Nachtreten mit Anlauf


Edathys Anwalt hatte nach Informationen des SPIEGEL die Erklärung bereits am Wochenende der Staatsanwaltschaft vorgelegt - um zu vermeiden, dass diese nicht doch überraschend abgelehnt wird. Stichwort "Wischiwaschi". Die Anklagebehörde akzeptierte die Einlassung anstandslos.


Dennoch hakt der Vorsitzende am Montag noch einmal nach, ob der Oberstaatsanwalt der Erklärung Edathys etwas hinzuzufügen habe. "Es kam der Staatsanwaltschaft einzig darauf an, dass Unklarheiten beseitigt sind. Nicht um nachzutreten, sondern um Rechtssicherheit zu haben", sagt Klinge.


Ob es von den Asservaten noch etwas gebe, was er zurückhaben wolle, fragt Richter Seifert daraufhin Edathy. Ja, antwortet dieser, es gebe einiges aus seinem rechtmäßigen Privatbesitz, was noch beim Landeskriminalamt Niedersachsen oder Berlin verwahrt werde. Zum Beispiel die Familienbibel.


Da tritt Oberstaatsanwalt Klinge eben doch noch nach. "In der Tat ist noch einiges da, von dem unklar ist, ob es Ihr Eigentum ist oder dem Bundestag gehört." Der Staatsanwaltschaft jedoch gehe es lediglich um die fraglichen Magazine, sagt Klinge. Und zählt deren Titel auf. Die Familienbibel aber könne Edathy "natürlich" zurückbekommen.


War es notwendig, noch einmal in der Öffentlichkeit die Titel zu erwähnen? War es notwendig, erst kein Nachtreten anzukündigen und es dann mit Anlauf zu tun? "Also, wenn da jemand mit der Familienbibel kommt…", sagt Klinge dem SPIEGEL am Ende der Verhandlung. Also eine Retourkutsche? Klinge grinst.


Edathy dürfte erledigt sein - beruflich wie privat


Die Rolle der Staatsanwaltschaft im Fall Edathy war von Anfang an heftig umstritten (Eine Chronologie der Affäre finden Sie hier). Edathys Verteidiger hatte mehrfach die Einstellung des Verfahrens gefordert, zuletzt beim Prozessauftakt, als er auf die Ermittlungen gegen den Leiter der Generalstaatsanwaltschaft Celle, Frank Lüttig, verwies. Lüttig steht im Verdacht, den Abschlussbericht des Landeskriminalamtes zu den Ermittlungen gegen Edathy verbotenerweise herausgegeben zu haben.


Der Abschlussbericht diente als Grundlage für die Anklageschrift: Demnach soll Edathy mit seinem Bundestags-Laptop kinderpornographische Videos und Bilder aus dem Internet heruntergeladen haben. Der Computer ist verschwunden, Edathy hat ihn als gestohlen gemeldet, doch IT-Spezialisten konnten den Datenverkehr rekonstruieren. Bei einer Durchsuchung von Edathys Wohnung im niedersächsischen Rehburg-Loccum fanden Ermittler zudem jugendpornographisches Material.


Das, was er getan habe, sei zwar falsch, aber legal - so lautete Edathys Verteidigungsstrategie vor dem Prozess. Und auch danach. Am Montag tritt sein Verteidiger vor die Presse und sagt das, was Edathy immer am Wichtigsten war: "Eine Schuldfeststellung ist nicht getroffen worden. Sebastian Edathy hat weiter als unschuldig zu gelten." Ähnliches schreibt Edathy auf Facebook.


In Wahrheit hat die Unschuldsvermutung für Edathy nie bestanden. 5000 Euro Geldstrafe muss er zahlen. Tatsächlich wurde gegen Edathy schon vor dem Prozess eine Strafe verhängt, die nicht im Strafgesetzbuch vorgesehen ist: öffentlicher Bann. Edathy dürfte trotz der Einstellung des Verfahrens vorerst erledigt sein - beruflich wie privat.


1500 Euro Belohnung für einen Computer


Seit bekannt wurde, dass gegen Edathy wegen des Besitzes und des Konsums kinderpornographischen Materials ermittelt wird, ist seine gesellschaftliche Reputation hinüber. Er erhält nach Angaben seines Anwalts fortwährend Morddrohungen und kann sich nicht in der Öffentlichkeit zeigen, ohne bepöbelt zu werden.

Auch am Montag bleibt Edathy nicht erspart, dass eine Prozessbeobachterin aufspringt und laut ruft, das Verfahren gegen Edathy dürfe keineswegs eingestellt werden. Unruhe in Saal 104. "Der verschwundene Laptop ist ein wichtiges Beweismittel, ich setze eine Belohnung aus", schreit die Frau. Sie habe 1500 Euro Bargeld bei sich. Die Frau wird des Saales verwiesen.


Am Eingang des Gerichtsgebäudes verharrt sie schließlich, monologisiert und schwadroniert. Sie kennt die Fakten im Fall Edathy, rezitiert Details aus den Ermittlungsberichten. Wer auch immer die Informationen aus der Akte Edathy an die Öffentlichkeit gegeben hat, den Preis dafür hat Edathy bezahlt.






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