samedi 4 avril 2015

Italiens Anti-Korruptionsgesetz: Bestechend ehrlich


Maurizio Lupi, Italiens Minister für Infrastruktur und Verkehr hat vor einiger Zeit einen dummen Fehler gemacht. Auf der Suche nach einem Job für seinen Sohn bat er ausgerechnet einen guten Bekannten um Hilfe, der nun im Zentrum eines der größten Korruptionsfälle Italiens steht. Ercole Incalza heißt der und war viele Jahre lang einer der mächtigsten Beamten des Landes. "Schattenminister für Infrastruktur" taufte ihn das Wirtschaftsblatt "Il Sole 24 Ore". Bis Dezember vorigen Jahres vergab und kontrollierte er fast alle großen Bauvorhaben des Landes. Und, so glaubt jedenfalls die Staatsanwaltschaft, manipulierte sie.


Denn bei erstaunlich vielen Ausschreibungen, die Incalza organisierte, hätten nur Konsortien eine Chance gehabt, bei denen die Firma Green Field mitmachte. Die gehört seinem Kumpel Stefano Perotti. Und eben diesen Perotti bat Incalza, etwas für "Maurizios Sohn" zu tun, den Spross des Ministers Lupi. Der Unternehmer besorgte dem jungen Mann nicht nur einen Job beim Energiekonzern Eni, er schenkte ihm auch eine Uhr im Wert von 10.000 Euro.

Die abenteuerliche Kriminalstory kommt gerade richtig. Im römischen Parlament streiten die Abgeordneten in diesen Tagen über ein härteres Gesetz gegen Bestechung und Bestechlichkeit. Der Entwurf, an dem der Senatspräsident und frühere Anti-Mafia-Staatsanwalt Piero Grasso mitgeschrieben hat, ist an vielen Stellen schon eifrig entschärft worden. Und er wird noch zahmer werden: Denn etliche Politiker im ganzen Land stehen selbst unter Korruptionsverdacht oder wollen Parteifreunden beistehen. Es vergeht praktisch kein Tag, ohne dass ein neuer Fall publik wird.


Das Ausmaß des Falls Incalza-Perotti überrascht allerdings auch erfahrene Ermittler. Denen zufolge entwickelten der Beamte und der Unternehmer den Ermittlern zufolge zusammen mit weiteren Partnern ein "System der Korruption" in nie gekannter Dimension. Die berühmten prallen Briefumschläge voller Geldscheine seien dagegen geradezu lächerlich.


Aufträge für insgesamt etwa 25 Milliarden Euro seien manipuliert worden, Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnstrecken, Autobahnen und Pavillons der im Mai anstehenden Weltausstellung "Expo" in Mailand. Nicht selten wären Mafia-Firmen im Spiel gewesen, hätten Pfusch am Bau mit aufgeblähten Rechnungen abgeliefert. Oder Problem-Müll preiswert entsorgt. Alle System-Beteiligten hätten ihre Taschen gefüllt. Der Schaden für den Staat geht in die Milliarden.


Käuflichkeit ist Alltag


Es sind solche großen Fälle, die landesweit Schlagzeilen machen. Dazu gehört auch das "Mose"-Projekt, das Venedig mit mobilen Staumauern vor Hochwasser schützen soll. Seit elf Jahren wird gebaut, 5,5 Milliarden Euro waren veranschlagt. Längst ist klar, dass es teurer wird - viele Menschen bereicherten sich üppig. 35 wurden vergangenes Jahr festgenommen, darunter Bürgermeister Giorgio Orsoni.


Weniger Wirbel verursachte dessen offenbar ebenso käuflicher Amts-Kollege in Ischia, Giosi Ferrandino. Der flog vor ein paar Tagen auf, weil er für den Liefervertrag mit einer Gasgesellschaft 330.000 Euro, eine Reise nach Tunesien und einen Job für seinen Bruder angenommen hatte. Mindestens zehn Bürgermeister sind in letzter Zeit unter Korruptionsverdacht verhaftet worden. Betroffen sind praktisch alle Parteien.


Die Liste lässt sich immer weiterführen:

  • Gerade gestand der frühere Kabinettschef von Roms Bürgermeister und spätere Polizeichef der Provinz Rom, Walter Veltroni, dass er sich von einer mafiösen Gang hat schmieren lassen: mit monatlich 5000 Euro.

  • Von derselben Bande soll der Ex-Chef der römischen Müllabfuhr 15.000 Euro im Monat bekommen haben, ein Funktionär des Grünflächenamtes einmalig 25.000 Euro. Auch Roms Ex-Bürgermeister Gianni Alemanno sollen die freundlichen "Geschäftsleute" 75.000 Euro für ein "Wahlkampf-Abendessen" spendiert haben. Insgesamt wird in dem Fall gegen mehr als 100 Personen unter dem Verdacht der systematischen Korruption, des Kreditwuchers, der Geldwäsche und anderer Delikte ermittelt. Geld und Sachwerte für über 200 Millionen Euro wurden beschlagnahmt.

  • In Neapel kam ein besonders perfider Fall ans Licht: Kurse und Betreuungsangebote für hochgefährdete Kinder und Jugendliche wurden so manipuliert, dass für Beamte aus dem Sozialamt und die Träger der "Sozialeinrichtungen" ein hübsches Sümmchen abfiel. Der Schaden wird auf sieben bis acht Millionen Euro taxiert - Geld, das für die Unterstützung der Kinder fehlt.

  • In Sizilien brachen brandneue Brücken ein. Pfuschbauten, stellte sich jetzt heraus, weil nach Abzug der Schmiergelder keine ordentliche Arbeit mehr möglich war.

  • In Latina, nahe Rom, wurden vorige Woche acht Mitglieder eines Schmiergeldrings verhaftet, darunter ein Richter, ein Stadtrat, ein Angestellter der Finanzpolizei.


Für Italiener ist das alles nicht neu, Alltag eben. In einer Übersicht der OECD halten in keinem anderen der 34 westlichen Industrieländer so viele Bürger ihren Staat für so korrupt wie die Italiener. "Bella Italia" toppt damit Portugal und Griechenland - und ist damit Europameister in der Disziplin Korruption.


Im Fall des Beamten Incalza und des Unternehmers Perotti wird jetzt gegen etwa 50 Personen ermittelt, vier kamen in U-Haft. Darunter Incalza und Perotti. Minister Lupi distanzierte sich von seinen Freunden, dementierte auch die Job-Anfrage für seinen Sohn. Dumm nur, dass sein Telefonat polizeilich mitgeschnitten worden war und am Tag nach seinem Dementi öffentlich wurde. Lupi musste seinen Ministersessel räumen. Abgeordneter will er bleiben.




Zusammenfassung: Fast jeden Tag erschüttern neue Schmiergeldskandale die Politik und Verwaltung Italiens. Gerade musste Verkehrsminister Lupi zurücktreten, weil er sich mit einem korrupten Beamten einließ. Jetzt diskutiert das Parlament ein neues Anti-Korruptions-Gesetz. Doch die Politiker arbeiten bereits an dessen Entschärfung.


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